Wie gehst du weg, wenn du Verantwortung übernommen hast? Gar nicht - wenn du es ernst meinst. Wie erträgst du Elend? Indem du dagegen anarbeitest. Brückenstraße, Kieswerk, Zeitz, Canitz, Vesta, Halle, Fährendorf heißen bis zu diesem Zeitpunkt die absolvierten Stationen von "Leipzig hilft". Vielleicht Colditz oder doch Torgau? Überall hinfahren geht nicht. In Halle waren die Helfer bereits und haben erlebt, dass sie nur bedingt gebraucht wurden - schade um den Sprit und die Zeit.

Nichts ist in diesen Stunden frustrierender, als nicht zu wissen, wohin. Nichts ist besser, als geholfen zu haben und zu wissen, wo man danach gebraucht wird. Während in vielen Orten Not herrscht, viele Sachsen zupacken, grübelt eine gut organisierte Truppe in Leipzig, wohin es gehen soll. Weitere Anrufe bei den Kommunalverwaltungen, Krisenstäben und Einsatzkräften, um genau zu erfahren, wo Hilfe wirklich gebraucht wird. Immer noch weiß kaum jemand wirklich Bescheid. Hier und da zieht sich das Wasser zurück, an anderen Orten kommt es gerade.

In der Wurzener Verwaltung fragt eine Frau am Bürgertelefon zurück, ob man Informationen für sie hätte. Das Landkreisamt Leipziger Land gibt zu, dass es keine Ahnung hat, was in den Umliegergemeinden los ist. Dort ist bereits Landunter. Immer mehr neue Menschen, Nummern, Helfende und Informationen – mehr als man sonst in einem Jahr behalten kann. Wohin? Wo verläuft die Linie, wo wird man wirklich gebraucht?

Telefonate bis in die Nacht hinein. Alles ist auf Standby, um 10 Uhr soll es losgehen, der Kreis der Ziele wird kleiner: nach Colditz oder nach Torgau? Dann früh um sechs Uhr der Notruf bei “Doc”. In Dautzschen bei Torgau droht die gesamte Gemeinde unterzugehen. Das Land Sachsen hat den Damm aufgegeben. Colditz muss warten, ein Einsatzleiter dort ist nach unzähligen Telefonaten vorab nun zwar enttäuscht, aber voller Verständnis. Die Initiative ist mittlerweile um die 50 bis 60 Menschen stark. Das erste Mal für “Leipzig hilft” die Möglichkeit, Schaden zu verhindern, die Flut zu stoppen. Die VLW Genossenschaft hat den Einkauf bei den Baumärkten bezahlt – man ist jetzt auf sehr viel vorbereitet.

Der Name “Leipzig hilft” verfestigt sich, auch in Leipzig selbst immer mehr neue Gesichter, alles überschlägt sich. Roman meldet sich – eine weitere Sammelstelle im “Duke” entsteht, in Markkranstädt öffnet die dortige Reptilienstation ihre Räume für Sachspenden, die Heilsarmee Leipzig bietet ihre Hilfe an, der Stadtpflanzer e.V. bildet das Hauptquartier im Chausseehaus. Erst Sammelstelle an der Delitzscher Straße 3, nun Mittelpunkt und Anlaufstelle der Initiative und aller Helfer.
Der Leipzig Tourist Service ruft im Namen der Initiative zu Sachspenden auf dem Stadtfest auf, “Wurzner” gibt Erbsen für die neu hinzugekommene Gulaschkanone, die Autovermietung Mau sorgt für hörbares Aufatmen. Bis zu fünf Transporter sind kostenfrei zu haben und die LVB erklärt sich bereit, für den Fall von einer Helferflut am Morgen, einen Bus zur Verfügung zu stellen.

Von irgendwoher kommt das Wort “Helden”. Alles protestiert, kurz und heftig. Und man einigt sich endgültig darauf, dass alle Beteiligten persönlich namenlos bleiben wollen. In Leipzig füllen sich die Freisitze in sommerlicher Beschwingtheit, der erste große Helfer-Konvoi dahin, wo die Leipziger nur noch TV-Bilder kennen, steht bevor und ab jetzt gilt es auch, rechtliche Fragen zu klären. Die Verantwortung wächst, bloß nicht sinnlos durch die Gegend fahren, punktgenau helfen, auf die hinzukommenden Mithelfer achten. Alle werden unverletzt und ohne Erkrankung zurückkehren. Und auch die Polizei wird in diesen Stunden zum Freund und Helfer.

Ein stellvertretender Einsatzleiter der LVB stellt seinen freien Tag zur Verfügung, er hat das Telefonat mit der Leitstelle mitgehört und wird früh aufstehen. Die Sammelstellen werden voller und voller – Anke meldet aus ihrer Holzhausener Garage Überfüllung. Und der Damm in Dautzschen soll von “Leipzig hilft” gemeinsam mit einer freiwilligen Feuerwehrtruppe vor Ort gehalten werden. Ein größer gewordener Tross mit vielen neuen Helfern an Bord verlässt die Stadt Richtung Torgau.

Am 6. Juli 2013 veranstaltet die Initiative nun am kleinen Silbersee in Lößnig ein Benefizfestival namens “Leipzig hilft”. Wie es überhaupt dazu kam, warum die Menschen bis heute zusammenarbeiten und wohin sie ihre Wege führten, sehr bald in weiteren Teilen auf L-IZ.de.

Weitere Infos www.leipzighilft.org

Zum Artikel vom 30. Juni 2013 auf L-IZ.de
Leipzig hilft (1) – Keine Helden, sondern Menschen: Wie “Leipzig hilft” entsteht

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